Modellstudie zeigt: Vor Jahrzehnten ausgebrachte Pestizide und Industriechemikalien gelangen weiterhin in Nahrungskette – Strömungen bringen Giftstoffe in immer neue Meeresgebiete
25. März 2013
Eigentlich wurden Schadstoffe wie DDT und PCBs schon in den 1970er Jahren aufgrund ihrer gesundheitsschädlichen Wirkung weitgehend verboten. Seitdem sinken in der Atmosphäre und im Boden die Konzentrationen der Chemikalien, die früher als Insektizide, in elektrischen Kondensatoren oder als Weichmacher in Lacken und Dichtungsmassen eingesetzt wurden. Vor zwei Jahren erschienen jedoch erste Berichte über einen neuerlichen Konzentrationsanstieg dieser Stoffe in der Arktis ausgelöst durch die Erwärmung des Ozeans und schmelzendes Meereis. Eine Modellsimulation basierend auf Daten von 1950 bis 2010 von Prof. Dr. Gerhard Lammel und Dr. Irene Stemmler brachte nun Neues ans Tageslicht: Die in den Tiefen des Ozeans gespeicherten Giftstoffe wurden durch Strömungen in Gebiete des westlichen und östlichen Nordatlantiks transportiert. Dort führten sie zu einem neuerlichen Anstieg der Giftstoffbelastung. Dasselbe geschah und geschieht bis heute in vielen Meeresregionen. Über die Tiefseefischerei können die Gifte schließlich in die menschliche Nahrungskette zurückkehren.
Bisherige Studien vernachlässigen die ozeanischen Transportwege sowohl bei ihren Prognosen zur Verteilung der chemischen Altlasten als auch als mögliche Quelle für deren Wiederkehr. Anhand der Emissionen seit 1950 konnten Prof. Dr. Gerhard Lammel vom Max-Planck-Institut für Chemie und Dr. Irene Stemmler vom Institut für Hydrobiologie und Fischereiwissenschaft der Universität Hamburg nun Prognosen über die Verteilung der Giftstoffe in den mittleren und großen Tiefen des Meeres errechnen. Sie nutzen dazu ein Erdsystemmodell, das Stoffzirkulationen in Ozean, Atmosphäre, Böden, Vegetation und Eis berücksichtigt (sog. Multikompartimentmodell). Die Forscher fokussierten sich auf polychlorierte Biphenyle (PCB28 und PCB153) und Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) – Substanzen, die vor allem in den 1960er und 1970er Jahren in großem Maße in die Umwelt gelangten. Sie gehören zum sogenannten „dreckigen Dutzend“ der Chemikalien, die seit 2004 durch die Stockholmer Konvention (auch „POP-Konvention“ für „Persistent Organic Pollutants“) weitgehend verboten sind. Durch ihre geringe Wasser- aber gute Fettlöslichkeit lagern sich die Giftstoffe im Fettgewebe von Wildtieren und Menschen an. Gesundheits- und Erbschäden sind die Folge.
„Vereinfacht lässt sich sagen, dass es Wellen der Verschmutzung in der Tiefsee gibt, die zeitlich versetzt zu den Höchstkonzentrationen an Land und in der Luft auftreten“, erklärt Prof. Dr. Lammel seine Resultate. Die Ergebnisse zeigen, dass es in einigen Meeresgebieten bis dato zwei Maxima der Giftstoffbelastung gab. So erreichte die Konzentration des Giftstoffs PCB153 in den mittleren Tiefen vor der irischen Westküste das erste Mal um das Jahr 1985 einen Spitzenwert gefolgt von einem zweiten um das Jahr 2000. Diese Maxima konnten aufgrund der mittlerweile wirksamen Verbote – die sich an Land und in der Luft in abnehmenden Konzentrationen niederschlagen – nicht vom Menschen verursacht worden sein: Die erste Spitze verursachten Partikel, die zuvor an der Meeresoberfläche Giftstoffe aus der Atmosphäre aufgenommen hatten und anschließend in die Tiefe absanken. Für die zweite waren Tiefenströmungen verantwortlich, die die Chemikalien aus anderen Meeresregionen herantrugen. „Wir erwarten, dass im Nordatlantik und auch in anderen Meeresgebieten zeitversetzt weitere Wellen der Verschmutzung auftreten. Und zwar solange, bis der extrem langsame Abbau der Gifte greift oder die Stofffracht in die Tiefseesedimente eingelagert ist“, prognostiziert der Max-Planck-Wissenschaftler.
Keine Entwarnung für DDT und Co.
Wie die Studie von Lammel und Stemmler zeigt, ist es für Entwarnungen selbst bei Stoffen des seit langem weitgehend verbotenen „dreckigen Dutzends“ noch zu früh. Denn: Durch die Tiefseefischerei gelangen Fische in den menschlichen Ernährungskreislauf, die in höher belasteten Meeresregionen gefangen wurden. „Lange Zeit herrschte die Meinung, dass das, was in die Tiefen der Ozeane abgesunken ist, für den Mensch nicht mehr von Bedeutung sei. Wie unsere Studie zeigt, ist das zu kurz gedacht“, betonen Irene Stemmler und Gerhard Lammel.
Die Ergebnisse der Studie sind in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Geophysical Research Letters“, Vol. 40 veröffentlicht.
Die Studie ist Teil des EU-Projekts „ArcRisk“, das sich mit den durch den Klimawandel verursachten Gesundheitsrisiken von Umweltchemikalien in der Arktis und in Europa befasst.