Mechanismus entschlüsselt: Wie organische Säuren in der Atmosphäre entstehen
Ein internationales Team von Wissenschaftlern deckt den dominanten Mechanismus bei der Bildung von Ameisensäure auf, die die Wolkenbildung beeinflusst
Der Säuregehalt der Atmosphäre wird zunehmend von Kohlendioxid und organischen Säuren wie Ameisensäure bestimmt. Letztere tragen zur Bildung von Aerosol-Partikeln als Vorläufer von Regentropfen bei und beeinflussen damit das Wachstum von Wolken und den pH-Wert von Regenwasser. In bisherigen Modellen der Atmosphärenchemie zur Säurebildung spielte Ameisensäure eine eher kleine Rolle – die chemischen Prozesse ihrer Entstehung waren zu wenig bekannt. Einem internationalen Wissenschaftsteam unter Jülicher Ägide, zu dem auch Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemie gehörten, gelang es jetzt, diese Lücke zu schließen und den dominanten Mechanismus der Bildung von Ameisensäure zu entschlüsseln. Damit wird es möglich, Atmosphären- und Klimamodelle weiter zu verfeinern. Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt im renommierten Fachmagazin Nature veröffentlicht.
Besonders aus den 80er Jahren ist in Deutschland der „saure Regen“ bekannt. Seine Ursache: Die von Menschen in die Atmosphäre eingebrachten Stickstoffoxide und Schwefeloxide reagierten mit den Wassertröpfchen in den Wolken zu Schwefel- und Salpetersäure – der „saure Regen“ hat einen pH-Wert von etwa 4,2–4,8 und liegt damit niedriger als der von reinem Regenwasser (5,5 bis 5,7), der sich durch den natürlichen Kohlenstoffdioxidgehalt der Atmosphäre ergibt. Außerdem spielen organische Säuren, insbesondere Ameisensäure, eine wichtige Rolle bei der Wolkenversauerung.
Bisher unbekannt war dagegen der chemische Prozess, der den größten Teil der in der Atmosphäre vorhandenen Ameisensäure bildet. Dr. Bruno Franco und Dr. Domenico Taraborrelli vom Jülicher Institut für Troposphärenforschung konnten ihn nun entschlüsseln: Formaldehyd entsteht auf natürlichem Wege durch Photooxidation von flüchtigen organischen Verbindungen. In Wolkentröpfchen reagiert Formaldehyd mit den Wassermolekülen zu Methandiol. Der größte Teil davon wird ausgegast und reagiert mit OH-Radikalen, dem „Waschmittel der Atmosphäre“, in einem photochemischen Prozess zu Ameisensäure. Ein kleinerer Teil reagiert in der Flüssigphase des Wassertröpfchens ebenfalls zu Ameisensäure, die durch Regen verteilt wird.
„Durch die Oxidation von Methandiol in der Gasphase entsteht nach unseren Schätzungen bis zum Vierfachen dessen, was in anderen bekannten chemischen Prozessen in der Atmosphäre an Ameisensäure insgesamt entsteht“, erläutert Domenico Taraborrelli. Diese Menge reduziere den pH-Wert von Wolken und Regenwasser um bis zu 0,3, was den Beitrag des organischen Kohlenstoffs zum natürlichen atmosphärischen Säuregehalt hervorhebt.
Theorieprüfung mit EMAC
In einem ersten Schritt testeten die beiden Wissenschaftler ihre Theorie mit dem globalen Modell der Atmosphärenchemie ECHAM5/MESSy (kurz EMAC für „Atmospheric Chemistry Model“) und verglichen die Ergebnisse mit Fernerkundungsdaten. Dr. Andrea Pozzer, Gruppenleiter am MPI für Chemie, erklärt: „Mit der Entwicklung und ständigen Verbesserung von EMAC in unserem Institut haben wir den Grundstein für den Aufbau des ersten globalen Atmosphärenmodells gelegt, das in der Lage ist, die chemische Kinetik in mehreren Phasen explizit zu simulieren." EMAC bietet die Möglichkeit, eine große Anzahl von Teilmodellen, die die in der Atmosphäre ablaufenden physikalischen und chemischen Prozesse beschreiben, in einem Modellrahmen zu integrieren und die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Prozessen detailliert zu untersuchen. „Die Modellierungsgruppe unseres Instituts hat nicht nur an der Umsetzung der grundlegenden Prozesse für diese Studie mitgewirkt, sondern auch an der Analyse der Modellergebnisse, die die Bedeutung der heterogenen Bildung von Ameisensäure in der Atmosphäre bewiesen hat", fügt er hinzu.
Für die Modellierung wurde der Jülicher Supercomputer JURECA genutzt. Anschließende Experimente in der Jülicher Atmosphärensimulationskammer SAPHIR bestätigten die Ergebnisse.
„Wir gehen davon aus, dass der aufgezeigte Mechanismus auch in wässrigen Aerosolen und für andere organische Säuren wie Oxalsäure gilt, die in den atmosphärenchemischen Modellen bisher nicht ausreichend berücksichtigt werden können“, so Taraborrelli. Das könnte unter anderem dazu beitragen, das Wachstum von Aerosol-Partikeln und die Entwicklung von Wolken besser zu verstehen.