Am Zahnschmelz den Speiseplan der Frühmenschen ablesen

Forscherteam gewinnt Stipendium: Forscher:innen aus Mainz, München und Boulder erhalten Research Grant des Human Frontier Science Program (HFSP) – Neue Methode zur Untersuchung der Isotopenzusammensetzung von Aminosäuren im Zahnschmelz könnte Essgewohnheiten der Frühmenschen aufklären.

12. April 2023

Die Leiterin der Emmy Noether-Gruppe, Tina Lüdecke vom Max-Planck-Institut für Chemie (MPIC) in Mainz, ist für den prestigeträchtigen Human Frontier Science Program (HFSP) Research Grant ausgewählt worden. Sie erhält ihn zusammen mit Cajetan Neubauer von der University of Colorado Boulder (Institute of Arctic and Alpine Research) und Rani Bakkour von der Technischen Universität München (TUM) für ihr gemeinsames Forschungsprojekt „Die echte Paläodiät: Neuartige Isotopenanalytik anhand von Aminosäuren in fossilen Zähnen der Frühmenschen“. Die dreijährige Förderung in Höhe von insgesamt rund einer Million US-Dollar unterstützt das internationale Wissenschaftsteam um Studienleiter Cajetan Neubauer bei der Arbeit an dem Projekt. 

Ziel des nun durch die HFSP geförderten Forschungsprojekts ist es, eine neue Methode zu entwickeln, mit der die Isotopenzusammensetzung von Aminosäuren im Zahnschmelz gemessen werden kann. Daraus erhoffen sich die Wissenschaftler neue Details über die Ernährung der Frühmenschen. 

„Die Preisträger des diesjährigen HFSP-Forschungsförderungsprogramms sind bemerkenswerte Wissenschaftler, die Pionierarbeit in der biowissenschaftlichen Forschung leisten, die internationale Zusammenarbeit und Grundlagenforschung in Pionierbereichen erfordert – d. h. Untersuchungen, für die es bisher keine Studien gibt“, sagte Pavel Kabat, Generalsekretär des HFSP. „Ich war begeistert von den Vorschlägen, die wir erhalten haben, und freue mich auf die Entdeckungen, die wir machen werden.“

„Ein Großteil unseres Wissens über die Zusammenhänge zwischen der Ernährung der Frühmenschen und der Evolution basiert auf anatomischen und archäologischen Informationen, die von homininen Fossilien stammen", erklärt Tina Lüdecke. In fossilem Knochen- und Zahnmaterial wurden bereits direkte chemische Nachweise für Paläodiäten in Form von stabilen Kohlenstoffisotopenmustern gemessen, die auf die Nahrungsaufnahme hinweisen. Proteine und Aminosäuren sind im Zahnschmelz wahrscheinlich auch nach Millionen von Jahren noch vorhanden. Ihre Isotopenzusammensetzung könnte Aufschluss darüber geben, wie die Nutzung von Ökosystemen und Ernährungsveränderungen in der Vorgeschichte des Menschen dessen Biologie, Gesellschaften und Kulturen geprägt haben. „Leider gibt es bislang keine Technik, mit der sich aus fossilen Aminosäuren Spuren der Paläodiät ablesen lassen. Das wollen wir mit unserem geförderten Projekt nun ändern", betont die Geochemikerin. 

Neue Methode erforscht

„Wir erhoffen uns mit der Aminosäureanalyse, einen neuen, vielversprechenden Weg für die Erforschung der menschlichen Evolution zu etablieren: den hochempfindlichen Nachweis intakter fossiler Stoffwechselprodukte und somit die vollständige Beschreibung der von ihnen aufgezeichneten paläodiätischen Informationen. Oder ganz einfach gesagt: der Zahnschmelz verrät uns die Leibspeise der Frühmenschen", beschreibt Cajetan Neubauer das Vorhaben des internationalen Teams. Um diese Aufgabe zu bewältigen, sei die Zusammensetzung ihres Teams entscheidend, so Neubauer. Es verfüge über komplementäre Schlüsselkompetenzen in den Bereichen analytische Chemie, Isotopenanalytik und Paläoanthropologie.

Tina Lüdeckes Arbeitsgruppe entwickelte kürzlich eine Methode zur Analyse von Stickstoffisotopen im Zahnschmelz, mit der sich erstmals der Fleischkonsum früher Homininen bewerten lässt. Die Messungen von Isotopenverhältnissen an einzelnen Aminosäuren sind jedoch ein weiterer wichtiger Schritt, um zu klären, welche tierischen oder pflanzlichen Ressourcen konsumiert wurden: ob Fleischfresser oder Pflanzenfresser, ob Fische oder Pilze verzehrt wurden, welche Rolle das Stillen spielte und ob unsere Vorfahren jagten oder stattdessen Aasfresser waren. Vor allem aber könnten die Aminosäuren des Zahnschmelzes neue Einblicke in die Nutzung des Feuers geben. Dies war vermutlich von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung großer Gehirne, da gekochte Nahrung viel mehr Energie liefert als Rohkost.

„Aufgabe meines Teams ist es nun, Zähne von Frühmenschen und vor allem von rezenten und fossilen Großsäugern zu sammeln, um die Methode zu entwickeln und zu testen. Anschließend werten wir die Ergebnisse paläoarchäologisch aus", erklärt Lüdecke.

Molekulares Imprinting an der TUM

Aus diesen Zahnschmelzen werden Rani Bakkour und sein Team winzige Mengen an Aminosäuren isolieren. Die TUM-Forscher verfügen über umfangreiche Expertise in der Umweltanalytik, wo sie Materialien für die selektive Extraktion von Wasserverunreinigungen synthetisieren und bewerten. „Wir synthetisieren Makromoleküle, die jeweils nur ein spezielles Molekül erkennen können, eine Technik, die als molekulares Imprinting bekannt ist", erklärt Bakkour. „Damit isolieren wir üblicherweise winzige Mengen an Schadstoffen, zum Beispiel Glyphosat, aus komplexen Umweltproben." Diese Methode ist daher auch für die Paläoanthropologie besonders gut geeignet. „Angesichts der sehr geringen Mengen an Aminosäuren im Zahnschmelz und der sehr geringen Größe der kostbaren fossilen Proben, ist Selektivität ein entscheidender Faktor.“

Neuartige Isotopenanalyse an der CU Boulder

Anschließend verfeinert Cajetan Neubauer die Messungen mithilfe seiner neu entwickelten Isotopentechnik (Iso-Orbi) in Colorado. Was Neubauer an der Universität Boulder entwickelt hat, ist eine sensitive und leistungsstarke Isotopentechnik, die die Isotopenanalyse in den Bereich der Strukturchemie bringt. Sie ermöglicht die Messung von sogenannten Isotopen-Fingerabdrücken in chemischen Verbindungen durch Elektrospray-Orbitrap-Massenspektrometrie. Iso-Orbi enthüllt die isotopische Anatomie von Aminosäuren und kann dadurch eine Fülle neuer multielementarer und struktureller Isotopeninformationen liefern, von denen das Forschungsteam annimmt, dass sie die Ernährungsgewohnheiten der Frühmenschen und Umweltfaktoren widerspiegeln.
„Die Förderung unseres Projektes durch den HFSP gibt uns nun die Möglichkeit, eine neue Methode zu erproben, um tiefer in fossile Moleküle zu blicken. Das wird die Forschung in diesem Bereich der Anthropologie verändern,“ hofft die Mainzer Forscherin Tina Lüdecke.

Weitere Informationen zum HFSP: 
Das Human Frontier Science Program (HFSP) fördert die internationale Zusammenarbeit in der Grundlagenforschung, die sich auf die Aufklärung der komplizierten und komplexen Mechanismen lebender Organismen konzentriert. HFSP-Forschungsstipendien unterstützen innovative Grundlagenforschung zu grundlegenden biologischen Problemen, wobei der Schwerpunkt auf neuartigen und interdisziplinären Ansätzen liegt, die einen wissenschaftlichen Austausch über nationale und disziplinäre Grenzen hinweg ermöglichen. Mehr auf: http://www.hfsp.org 
 

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