Spurensuche im Geschichtsbuch des Ozeans
In einer Epoche der Erdgeschichte mit abrupter globaler Erwärmung erhöhte sich der Sauerstoffgehalt des tropischen Ozeans
Neue Forschungsarbeiten unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz zeigen an Sedimentbohrkernen, dass der tropische Ozean während des Paläozän-Eozän-Thermal-Maximums (PETM) an Sauerstoff zunahm. In dieser Zeit vor 56 Millionen Jahren stiegen die Durchschnittstemperaturen innerhalb von wenigen tausend Jahren um bis zu sechs Grad.
Da sich unser Planet aufgrund des Klimawandels weiter erwärmt, verliert der Ozean jedoch allmählich die Fähigkeit, Sauerstoff aufzunehmen. Dies hat Folgen für die marinen Ökosysteme und die davon abhängigen Menschen. Während sich dieser Trend in Zukunft wahrscheinlich fortsetzen wird, ist noch unklar, wie sich der Sauerstoff in den Tiefen des Ozeans verteilen wird. Im Gegensatz zum Oberflächenwasser wird sein Gehalt von Meeresströmungen und biologischen Abbauprozessen bestimmt, bei denen Sauerstoff verbraucht wird.
„Wir wissen, welche Gefahr Sauerstoffmangel für das Leben im Meer darstellt. Es ist aber schwierig, vorherzusagen, welche Bereiche des Ozeans am stärksten betroffen sein werden", sagte Simone Moretti, Hauptautor einer neuen Studie, die nun im Forschungsmagazin Science veröffentlicht wurde. „Hier helfen uns Sedimente des Meeresbodens. Sie sind das Geschichtsbuch des Ozeans. Durch die Untersuchung vergangener Zeitabschnitte, in denen die Temperaturen schnell anstiegen, können wir wertvolle Erkenntnisse darüber gewinnen, wie der Sauerstoffgehalt der Ozeane in Zukunft reagieren könnte.“
Der Paläoklimaforscher vom Max-Planck-Institut für Chemie hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen in Zusammenarbeit mit der Princeton University die Sauerstoffversorgung der tropischen Ozeane während des PETM ermittelt. Dazu untersuchte das Team Fossilien von Foraminiferen, die über Millionen von Jahren in Meeressedimenten konserviert wurden, auf chemische und morphologische Merkmale. Foraminiferen sind mikroskopisch kleine Einzeller, die meist Kalkschalen besitzen.
Stickstoffisotope und Größe der Fossilien verraten den Sauerstoffgehalt des Meerwassers
Anhand von Stickstoffisotopen in den Fossilien konnten die Wissenschaftler bestimmen, wie sich die Denitrifikation im Meerwasser veränderte. Dieser Prozess, bei dem Nitrat durch Bakterien zu molekularem Stickstoff (N2) umgewandelt wird, läuft nur in den Gewässern mit sehr wenig Sauerstoff ab: den sogenannten sauerstoffarmen Zonen der Ozeane. „Unsere Messungen haben gezeigt, dass die Denitrifikation entgegen den meisten Erwartungen während des PETM abnahm. Wir schließen daraus, dass sich die sauerstoffarmen Zonen des Ozeans in diesem Intervall abrupter globaler Erwärmung zusammenzogen, es also mehr Sauerstoff gab", so Alfredo Martínez-García, Leiter des Mainzer Labors, in dem die Studie durchgeführt wurde.
Ein weiteres wichtiges Puzzleteil fanden die Forschenden in der Größe der fossilen Foraminiferen, die Rückschlüsse auf die Umgebungstemperatur und den Sauerstoffgehalt des Wassers zulässt. Schrumpft die Körpergröße, ist dies ein Zeichen, dass sich die Meeresbewohner wirksam an ein sich erwärmendes Klima anpassen, da sie ihren Stoffwechsel in Stresssituationen reduzieren können.
„Wir haben hingegen festgestellt, dass planktische Foraminiferen aus dem zentralen tropischen Pazifik während der PETM-Erwärmung größer wurden. Das ist überraschend und deutet auf einen tropischen Sauerstoffanstieg in den oberen Schichten des tropischen Ozeans hin", stellt Curtis Deutsch, Professor für Geowissenschaften an der Universität Princeton und Mitautor der Studie, fest. Planktische Foraminiferen leben im Gegensatz zu am Boden vorkommenden in den oberen Schichten des Ozeans.
Sauerstoffanstieg könnte Massenaussterben in den oberen Meeresschichten abgemildert haben
Die Feststellung, dass der Sauerstoffgehalt im tropischen Ozean während des Paläozän-Eozän-Thermal-Maximums stieg und nicht sank, birgt für die Forschenden auch einen Hinweis für ein anderes Rätsel, das der Artenvielfalt. Während der Erdneuzeit, also der letzten 66 Millionen Jahren, fand während des PETM das größte Massenaussterben von Lebewesen der Tiefsee in statt. Unklar war bisher, warum viele Arten in größeren Meerestiefen ausstarben, die im obersten Teil des Ozeans lebenden Organismen jedoch weniger betroffen waren. „Die vorübergehende tropische Sauerstoffanreicherung könnte dazu beigetragen haben, die Bewohnbarkeit trotz des großen Temperaturstresses zu erhalten“, so der Paläoklimatologe Simone Moretti. „Allerdings wurde die Fauna im Oberflächenozean während des PETM stark in Mitleidenschaft gezogen, und es dauerte mehr als hunderttausend Jahre, bis sich die Ökosysteme wieder erholten - eine Ewigkeit in menschlichen Zeitskalen.“