Rettung vor der UV-Katastrophe
Artikel über die Geschichte des Ozonlochs anlässlich des Internationalen Tags zum Schutz der Ozonschicht 2024.
Text: Tim Schröder
Im Jahr 1974 warnten Wissenschaftler zum ersten Mal vor der Zerstörung der Ozonschicht durch den Menschen. Doch dauerte es lange, bis sich die Weltgemeinschaft zum Verbot ozonzerstörender Chemikalien durchrang. Die Arbeitsgruppe um den Atmosphärenchemiker Paul Crutzen hat seinerzeit wesentlich dazu beigetragen, der Menschheit die Augen zu öffnen. Inzwischen schließt sich das Ozonloch wieder. Doch bremst inzwischen der Klimawandel den positiven Trend. (only in German)
Ende November 1987 rüttelte die Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel” die Menschen in Deutschland wach: „Das Ozonloch“ prangte darauf in großen Lettern, vor einem blauen Himmel mit einem schwarzen, klaffenden Loch und einer überdimensionalen Spraydose. Damals wurde den Deutschen endgültig klar, dass der Planet Erde unmittelbar vor einer Umweltkatastrophe stand. Wenige Wochen zuvor hatte sich die Ozonschicht über der Antarktis zum ersten Mal auf einer gigantisch großen Fläche aufgelöst – jene Schicht, die in 15 bis 25 Kilometer Höhe wie ein Schutzschirm in der Atmosphäre die schädliche ultraviolette Strahlung (UV) aus dem All abfängt. Wie die Spiegel-Journalisten schrieben, zeigten Messungen von Forschungsflugzeugen, dass sich das Ozonloch über eine Fläche von der Größe der USA ausgebreitet hatte. Schafzüchter in Südamerika klagten, dass ihre Schafe durch das intensive UV-Licht erblindeten; und in Australien begannen die Fernsehsender, in ihrem Wetterbericht Sonnenhungrige über die „Today’s burning time“ zu informieren – die Minuten bis zum Sonnenbrand. Das Schicksal der Erde schien besiegelt: Künftig würde die harte UV-Strahlung ungefiltert auf Pflanzen und Tiere niederprasseln und damit auch die Nahrungsgrundlage der Menschen zerstören. Und die Hautkrebsrate würde ungekannte Höhen erreichen.
Dabei hatten Wissenschaftler bereits 1974 erstmals vor der Zerstörung der Ozonschicht gewarnt. Im Fachmagazin „Nature“ hatten die Chemiker Mario Molina und Frank Sherwood Rowland ihre Hypothese veröffentlicht, nach der sich Treibmittel aus Spraydosen und verwandte Verbindungen – sogenannte Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) oder Halone – in der Stratosphäre anreicherten und dort das Ozon zerstörten. Sie postulierten, dass der Ozonabbau in der oberen Stratosphäre bei etwa 40 Kilometer stattfände. Zwar lagen sie damit um rund 20 Kilometer daneben. Doch im Prinzip hatten sie recht. Allerdings sollte es noch Jahre dauern, bis hieb- und stichfeste Beweise für ihre These vorlagen, und der Kampf gegen die FCKW begann. Erst 1985 wurde erstmals ein Ozonloch über der Antarktis nachgewiesen, sogar erst 2020 erstmals auch über der Arktis.
Messflüge mit der Nasa
Angeregt durch den Artikel in „Nature“ nahmen damals Forschungsgruppen weltweit das Thema „Ozon“ auf. Vor allem auch die Gruppe um den Atmosphärenchemiker Paul Crutzen vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, der 1995 zusammen mit Molina und Rowland den Nobelpreis für Chemie erhielt und im Januar 2021 verstorben ist. Das Ozon war damals in der Meteorologie schon länger ein Thema gewesen. Denn die Ozonkonzentration schwankt in der Atmosphäre auch auf natürliche Weise. Welche chemischen Prozesse genau dazu führen, war unklar. An die heiße Phase der Ozonforschung erinnert sich der Chemiker Christoph Brühl, der Anfang der 1980er-Jahre als Doktorand zu Crutzens Gruppe stieß: „Damals führte meine Kollegin Susan Solomon in Zusammenarbeit mit der NASA umfangreiche Messflüge durch, um die Konzentration des Ozons, der FCKW und anderer Gase an Ort und Stelle zu messen – das waren wichtige und einzigartige Daten für unsere Modellstudien.“ Denn damit konnten die Forscher auch eine These zum Ozonabbau durch FCKW überprüfen, die Paul Crutzen entwickelt hatte – das Prinzip der katalytischen Zyklen, chemischer Reaktionen, bei denen in einem ständigen Kreislauf ein Ozonmolekül nach dem anderen zerstört wird.
Damals waren bereits andere, natürliche katalytische Zyklen bekannt: Im Fokus stand vor allem jener, bei dem der Ozonabbau durch Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2) angetrieben wird. NO und NO2 können unter anderem durch Flugzeugabgase in die Stratosphäre gelangen oder dort durch chemische Reaktionen entstehen – zum Beispiel aus Lachgas aus der Landwirtschaft. Das Ozon wird zerstört, indem zunächst NO mit dem Ozonmolekül (O3) zu NO2 und O2 reagiert. Das NO2 wird dann im nächsten Schritt durch das Sonnenlicht in NO und O (Sauerstoff) gespalten. Damit steht wieder NO zur Verfügung, das erneut ein O3 spalten kann. Der Kreislauf schließt sich. Paul Crutzens Verdienst besteht unter anderem darin, dass er das Modell der katalytischen Zyklen auf das FCKW übertragen hat. Hier sind es Chloratome, die Ozonmolekül nach Ozonmolekül knacken.
Die Rolle der Wolken
Interessanterweise ruht der Ozonabbau während der mehrmonatigen Polarnacht. Zum Ende der Polarnacht aber geht es zur Sache, sowohl in der Antarktis als auch in der Arktis. Warum das so ist, fand das Team um Paul Crutzen damals heraus. Ein wesentliches Element sind sogenannte „polare stratosphärische Wolken“ (Polar stratospheric clouds, PSC), die sich bei extremer Kälte während der Polarnacht bilden. Das erste Sonnenlicht, das mit dem beginnenden Frühling auf die Wolken trifft, löst an der Oberfläche der PSC die Kettenreaktion aus Chlorangriff und Ozonabbau aus. Fatal ist, dass diese Reaktionen wie in einem Reagenzglas nahezu ungestört ablaufen können, da die besonderen meteorologischen Bedingungen einen Austausch mit anderen Luftmassen verhindern.
Zunächst stritt die Industrie ab, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Ozonloch und den FCKW gäbe. Doch mit der Veröffentlichung von Crutzens Ergebnissen und den Resultaten anderer Wissenschaftler waren die Beweise schließlich erdrückend. Und so wurde das Thema „FCKW und Ozonabbau“ schließlich zu einer der größten Erfolgsgeschichten des weltweiten Umweltschutzes: Im Jahr 1989 verabschiedeten etliche Staaten das Protokoll von Montreal, mit dem die Substanzen geächtet wurden, die die Ozonschicht zerstören. In den folgenden Jahren verschwanden die Substanzen nach und nach vom Markt. Sie wurden durch umweltfreundlichere ersetzt.
Waldbrände schädigen die Ozonschicht
FCKW sind extrem langlebige Verbindungen, die in der Stratosphäre nur langsam abgebaut werden. Daher dauerte es einige Zeit, bis der FCKW-Bann Wirkung zeigte: 2006 erreichte das durch FCKW verursachte Ozonloch seine bislang maximale Ausdehnung. Seither wird es aber tatsächlich kleiner, auch wenn der Rückgang nicht kontinuierlich ist und es immer wieder mal Ausreißer nach oben gibt. Derzeit gehen Wissenschaftler davon aus, dass es bis zur Mitte dieses Jahrhunderts verschwunden sein wird. „Allerdings ist die Geschichte noch nicht aus der Welt“, dämpft Christoph Brühl den Optimismus. „Denn es gibt noch andere Faktoren, die zum Abbau des stratosphärischen Ozons beitragen.“ Im Blick hat Brühl vor allem große Waldbrände, die künftig durch den Klimawandel und häufigere Dürren öfter auftreten könnten. „Ich denke dabei vor allem an die mächtigen Brände, die sich fast jedes Jahr in Kanada und in Australien ereignen“, sagt Brühl. „Sie sind so groß, dass große Mengen an Rußpartikeln bis in die Stratosphäre gerissen werden und dort Chlor aktivieren, ähnlich wie an PSCs.“
Und das ist noch nicht alles. Christoph Brühls ehemalige amerikanische Kollegin Susan Solomon hat die Auswirkungen der verheerenden Waldbrände in Australien in den Jahren 2019 und 2020 genauer analysiert. Susan Solomon arbeitet heute am Massachusetts Institute of Technology. Zusammen mit ihrem Team fand sie heraus, dass sich die noch aus den FCKW stammenden Salzsäuremoleküle offensichtlich an der Oberfläche der Rauchpartikel festsetzen. Die Salzsäure reagiert dort mit anderen Substanzen, wodurch Chlormoleküle freigesetzt werden. Das Sonnenlicht spaltet die Chlormoleküle schließlich in hochreaktive Chlorradikale auf, die dann massenweise Ozonmoleküle zerlegen. Die Stratosphäre „sah nach diesen Bränden wie ein anderer Planet aus“, schrieb Susan Solomon im Jahr 2023.
Die Macht der Spurengase
„Wir wissen schon lange, dass die Ozonschicht empfindlich auf verschiedene Spurengase reagiert – auch wenn diese in geringen Konzentrationen vorliegen“, sagt Christoph Brühl. In den 1970er-Jahren zum Beispiel habe Paul Crutzen davor gewarnt, dass Überschallflugzeuge wie die Concorde durch den Ausstoß von Stickoxiden die Ozonschicht schädigen. Damals sah es so aus, als würde der Überschallflugverkehr zwischen den Kontinenten massiv ausgebaut werden. Da die Flugzeuge direkt durch die Stratosphäre rasten, hätte reger Flugverkehr katastrophale Wirkungen gehabt. „Und als in den 1980er-Jahren die Space-Shuttles der NASA mit ihren großen Boostern ins All flogen, konnten wir in den Messwerten sehen, dass in einem Umkreis von mehreren Hundert Kilometern um ihre Flugbahn, die Ozonwerte in den Keller gingen.“ Entsprechend verhalten sieht er die derzeitige Erholung der Ozonschicht. „Große Waldbrände können den positiven Trend für einzelne oder auch mehrere Jahre umkehren.“
Hinzu kommen große Vulkanausbrüche. Diese stoßen viele Schwefelverbindungen und andere chemische Verbindungen aus, die die Ozonschicht schädigen. Im Januar 2022 brach der Hunga Tonga-Hunga Haʻapai im südpazifischen Inselstaat Tonga aus. Die massive Explosion schleuderte Unmengen an Material in die Stratosphäre. „Die Folgen für die Ozonschicht sind noch immer messbar“, sagt Christoph Brühl. Doch es bleibt bei der guten Nachricht: Die Ozonlöcher über der Antarktis und der Arktis, die manchmal bis nach Nordwesteuropa reichen können, werden kleiner. Offen ist nur, wie lange es tatsächlich dauert, bis der Effekt der FCKW ganz verschwunden sein wird. (Autor: Tim Schröder)