Abholzung des Regenwalds verändert die chemischen Prozesse bis in die obere Troposphäre
Warme Luftmassen transportieren pflanzliche Emissionen aus dem Amazonaswald bis in zwölf Kilometer Höhe, wo sie in der Morgendämmerung wieder abgebaut werden
Der Amazonas-Regenwald ist die größte Quelle biogener flüchtiger organischer Verbindungen (BVOCs). Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Chemie zeigt, dass warme Luftmassen BVOCs bis zu zwölf Kilometer hoch transportieren. Dort haben sie wesentlichen Einfluss auf die Atmosphärenchemie. Abholzung verringert diese Emissionen – was zu erhöhten Ozonwerten in Bodennähe führt und schädlich für Menschen und Ökosysteme ist.

Auf den Punkt gebracht:
- Verteilung von Spurengasen: Konvektionsströmungen in tropischen Gewittern im Amazonasgebiet beeinflussen die Höhenverteilung von Spurengasen, die besonders von Pflanzen gebildet werden.
- Transport von Pflanzenstoffen: Diese biogenen flüchtigen organischen Verbindungen (BVOC) wie Isopren und Monoterpene reichern sich in der oberen Troposphäre über Nacht an und werden in der Morgendämmerung durch fotochemische Prozesse wieder abgebaut.
- Einfluss der Abholzung: Reduzierte BVOC-Emissionen führen zu erhöhten Ozonwerten in Bodennähe, die für Mensch und Umwelt schädlich sein können.
Der Amazonas-Regenwald ist weltweit die größte Quelle für biogene flüchtige organische Verbindungen (BVOCs) in der Atmosphäre. Bekannt ist, dass die kurzlebigen Moleküle die Atmosphäre, die Wärmebilanz des Waldes und somit auch das Klima in vielfältiger Weise beeinflussen. Um ihre Verteilung und Chemie genauer zu verstehen, führten Forschende im Rahmen der großangelegten, internationalen Forschungsexpedition CAFE-Brazil (Chemistry of the Atmosphere: Field Experiment in Brazil) von Dezember 2022 bis Januar 2023 Messungen vom Flugzeug und vom Boden aus über dem Amazonas-Regenwald durch.
Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für Chemie zeigt auf Basis dieser Daten, dass aufsteigende warme Luftmassen bei Gewittern über dem Regenwald die BVOCs zehn bis zwölf Kilometer hoch über die Baumkronen transportieren. Die Studie zeigt erstmals, dass nächtliche Konvektion eine zentrale Rolle bei diesem Transport spielt. In etwa zwölf Kilometern Höhe sammeln sich die natürlichen Pflanzenstoffe wie Isopren und Monoterpene während der Nacht an, bevor sie in der oberen Atmosphäre im Licht der Morgendämmerung durch fotochemische Prozesse wieder abgebaut werden auslösen. Bei diesen Abbauprozessen entstehen unter anderem sekundäre organische Aerosole bzw. Wolkenkondensationskerne, die wiederum für die Bildung von Niederschlag wichtig sind. Die Studie erschien in der Fachzeitschrift Nature Communications.

Die Forschenden analysierten die Höhenprofile der BVOCs hinsichtlich Uhrzeit, Licht und Temperatur, indem sie gleichzeitig Messungen mit einem Forschungsflugzeug sowie an dem 325 Meter hohen Amazon Tall Tower Laboratory, ATTO durchführten. Sie stellten fest, dass die Konzentrationen gegen Mittag ihren Höhepunkt Nahe des Walddachs erreichten. In zwölf Kilometern Höhe wurden die höchsten Konzentrationen jedoch gegen fünf Uhr morgens beobachtet, nachdem sie sich über Nacht aufgebaut hatten.
Veränderung der Landnutzung durch Abholzung beeinflusst die Chemie der Atmosphäre bis zu einer Höhe von zwölf Kilometern
„Pflanzen sind mit ihren Wurzeln zwar fest im Boden verankert, aber sie haben einen überraschend großen Einfluss auf die Atmosphäre. Unsere Datenauswertung zeigt deutlich, dass Landnutzungsänderungen und die zunehmende Entwaldung die pflanzlichen Emissionen dramatisch verändern könnten, was erhebliche Folgen für die regionale und globale Atmosphärenchemie hätte,“ sagt die Erstautorin der neuen Studie, Nidhi Tripathi.
„Es ist bemerkenswert, dass die BVOCs, die aus dem Regenwald ausgestoßen werden, die kalte, trockene obere Atmosphäre erreichen und dort einen so starken Einfluss auf die Chemie ausüben können,“ so Jonathan Williams, Gruppenleiter in der Abteilung Atmosphärenchemie am MPI für Chemie.
Abholzung erhöht Ozonwerte in Bodennähe
„Wir wollten daher unbedingt verstehen, wie die Atmosphäre auf die Abholzung und veränderte Pflanzenemissionen reagiert. Durch Messungen über unberührten und abgeholzten Flächen sowie Modellierungen verschiedener BVOC-Emissionsszenarien zeigen, wie empfindlich die Atmosphäre im Amazonasgebiet auf eine mögliche weitere Abholzung reagieren würde,“ erklärt der Atmosphärenchemikerin. Laut Williams führen die verringerten BVOC-Emissionen zu höheren Ozonwerten in Bodennähe. Unter unberührten Bedingungen tragen die BVOCs nämlich dazu bei, Ozon aus der Luft zu entfernen. Bodennahes Ozon kann sowohl für den Menschen als auch für die Umwelt schädlich sein.
Ausblick
In zukünftigen Studien wollen sich die Mainzer Wissenschaftler:innen stärker auf die chemischen Vorgänge während der Morgendämmerung konzentrieren. Um die Chemie in der Troposphäre mit ihren kalten, trockenen Bedingungen und dem niedrigen Luftdruck zu verstehen, sind Laboruntersuchungen, Modellierungen und weitere Messungen erforderlich. Bisher haben Forschende vor allem untersucht, wie sich die natürlichen Gase aus Pflanzen in der Luft nahe am Erdboden verhalten.
Zusätzliche Informationen:
Die Erstautorin Nidhi Tripathi wurde von der Humboldt-Stiftung und dem Max-Planck-Institut für Chemie unterstützt.
Erforschung der chemischen Prozesse über dem brasilianischen Regenwald: Die CAFE-Brazil Expedition 2022/2023
Im Dezember 2022 und Januar 2023 sammelte ein internationales Forscherteam unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Chemie rund 60 Tage lang Daten zu den chemischen Prozessen in der weitgehend unberührten Atmosphäre über dem Amazonas-Regenwald in Brasilien. Das Hauptziel der CAFE-Brazil-Kampagne war es, neue Erkenntnisse über die chemischen Prozesse in der Atmosphäre über dem tropischen Regenwald sowie über die Wechselwirkungen zwischen Biosphäre und Atmosphäre zu gewinnen. Um die grundlegende Rolle des Regenwaldes im terrestrischen System besser erklären zu können, setzten die internationalen Wissenschaftler das Forschungsflugzeug HALO (High Altitude and Long Range Research Aircraft) ein, das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betrieben wird.
Mehr Infos zu CAFE-Brazil:
https://www.mpic.de/5288621/CAFE-Brazil
https://www.mpic.de/5299687/cafe-brazil-kampagne
Neben dem MPI für Chemie waren an der groß angelegten Mission CAFE-Brazil auch Forscher der Goethe-Universität Frankfurt, der Universidade de São Paulo und des Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais beteiligt. Weitere Informationen zur CAFE-Brazil-Kampagne finden Sie hier: https://www.mpic.de/5299698/cafe-brazil-kampagne
Zu ATTO
Daten des Amazon Tall Tower Observatory (ATTO)
Zusätzlich zu den Daten aus der Luft verwendete die neue Studie von Tripathi et al. Messungen der Bodenstation Amazon Tall Tower Observatory, die sich im unberührten Regenwald 150 km nordöstlich von Manaus befindet und während der zweimonatigen CAFE-Brazil-Kampagne eine 24-Stunden-Datenabdeckung in 320 Metern Höhe ermöglichte. Die Kombination von Daten aus der Luft und vom Boden lieferte neue Erkenntnisse über die vertikale (0,3–14 km), zeitliche (24-Stunden-Profile in mehreren Höhen) und räumliche Verteilung von BVOCs über dem Amazonas-Regenwald.
ATTO ist ein deutsch-brasilianisches Gemeinschaftsprojekt, das 2009 ins Leben gerufen wurde. Es wird von den Max-Planck-Instituten für Biogeochemie in Jena und für Chemie in Mainz sowie vom brasilianischen INPA und der Amazonas-Staatsuniversität (UEA) in Manaus geleitet. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Ministério da Ciência, Tecnologia e Inovações (MCTI), der Max-Planck-Gesellschaft und brasilianischen Organisationen wie FAPEAM finanziert. Einzelne Forscher stellen Mittel aus anderen wissenschaftlichen Förderprogrammen zur Verfügung.
Der Turm soll bahnbrechende Erkenntnisse liefern, die als Grundlage für verbesserte Klimamodelle dienen werden. Mit einer Höhe von 325 Metern erweitert der Turm die bodennahen Schichten und liefert Informationen aus einem Gebiet von etwa 100 Quadratkilometern des größten Waldgebiets der Welt.
Mehr zu ATTO: https://www.mpic.de/3489852/ATTO