Modell zum Ozonabbau verbessert – bisher rätselhafter Prozess integriert

Pressemitteilung des Forschungszentrums Jülich

4. Juli 2025

Seit Jahrzehnten gilt die Zerstörung der schützenden Ozonschicht der Erde als gut verstanden und mit Modellen berechenbar: Übeltäter sind chlorhaltige Verbindungen, die in verschiedenen Reaktionen das Ozon abbauen. Mit daran beteiligt ist Chlorwasserstoff (HCl). Genau zu dieser Verbindung gab es aber eine rätselhafte Beobachtung, welche die Modellierung bisher nicht erklärte: In den Wintermonaten nimmt die HCl-Konzentration in der polaren Stratosphäre ab. Ein Team vom Forschungszentrum Jülich und vom Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie hat nun entdeckt, wie sich das Modell verbessern lässt. Sie haben es um eine bislang wenig beachtete Reaktion zwischen Dichlordioxid (ClO) und HCl ergänzt. So erklärt das Modell den HCl-Rückgang und liefert zudem bessere Vorhersagen zum Ozonabbau. Die Ergebnisse sind im Fachjournal Communications Earth & Environment erschienen.

Seit der Entdeckung des Ozonlochs 1985 ist bekannt, dass Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW) etwa aus Sprühdosen, Klimaanlagen und Kühlschränken die Ozonschicht angreifen. Die FCKW steigen bis in die Stratosphäre – also in 15 bis 50 Kilometern Höhe – und werden dort durch UV-Strahlung aufgespalten. Dabei entstehen verschiedene Chlorverbindungen, unter anderem HCl, das Chlor in der Stratosphäre speichert und Maß für die Menge der ozonabbauenden Stoffe in dieser Luftschicht ist. Diese Chlorverbindungen reagieren weiter – zum Beispiel zu Cl2O2 – und stoßen chemische Reaktionen an, in denen schließlich Ozon (O3) zerstört wird.

Atmosphärenmodelle bilden diese komplexen chemischen Prozesse nach, um besser zu verstehen, wie sich die Zusammensetzung der Atmosphäre verändert. In der Regel stimmen die Berechnungen der Modelle mit den experimentellen Beobachtungen recht gut überein. Jedoch zeigen Messungen im Winter im Kern des Polarwirbels jedes Jahr einen deutlichen Rückgang von Chlorwasserstoff (HCl), den die gängigen Modelle bislang nicht abbilden konnten – bisher ein offenes Rätsel in der Ozonforschung.

Dichlordioxid bringt Modell und Messung in Einklang

Die Jülicher und Mainzer Forscher:innen haben nun möglicherweise die Lösung gefunden. Aufbauend auf alten, fast vergessenen Arbeiten norwegischer Forschender um David DeHaan aus dem Jahr 1997 haben die Wissenschaftler:innen eine weitere Reaktion in das Jülicher Atmosphärenmodell CLaMS (Chemical Lagrangian Model of the Stratosphere) integriert: die Reaktion von Dichlordioxid (ClO) mit Chlorwasserstoff (HCl), bei der ebenfalls reaktive, ozonzerstörende Chlorverbindungen entstehen. Die Erweiterung beschreibt nicht nur die Abnahme von HCl im Polarwirbel realistischer, sie verbessert auch die Berechnungen für andere Chlorverbindungen – darunter Chlormonoxid (ClO), Chlornitrat (ClONO₂) und Hypochlorige Säure (HOCl). Die Berechnungen stimmen nun deutlich besser mit den Beobachtungsdaten überein. Darüber hinaus zeigt die neue Simulation eine zeitliche Verschiebung des Ozonabbaus. So werden zwischen Juli und September etwa 15 Prozent mehr Ozon abgebaut, als bisherige Berechnungen ergeben – der Abbau beginnt also etwas früher, als in bisherigen Modellen ohne diese zusätzliche Reaktion.

„Unsere Studie zeigt, dass selbst nach Jahrzehnten intensiver Ozonforschung noch wichtige Prozesse übersehen werden können. Die Reaktion von ClO mit HCl ist ein gutes Beispiel dafür, wie gezielte Modellierung helfen kann, Beobachtungen besser zu verstehen – und wie eng Theorie, Messung und Laborarbeit zusammenhängen“, sagt Dr. Jens-Uwe Grooß vom Institute of Climate and Energy Systems – Stratosphäre am Forschungszentrum Jülich, Erstautor der Studie.

Gerade die Daten zum zeitlichen Verlauf des Ozonabbaus sind für das Verständnis der langfristigen Entwicklung des Ozonlochs von besonderer Bedeutung. Die aktualisierte Modellierung liefert daher nicht nur neue Erkenntnisse zur Chlorchemie, sondern hat auch unmittelbare Relevanz für die Bewertung von Trends im stratosphärischen Ozon.

Nächster Schritt: Reaktionskinetik experimentell prüfen

Die angenommenen Reaktionsgeschwindigkeiten im Atmosphärenmodell CLaMS basieren bislang auf plausiblen theoretischen Abschätzungen. Ob die verbesserte Übereinstimmung zwischen Modell und Messdaten beim Ozonabbau tatsächlich auf die Berücksichtigung der Reaktion mit Dichlordioxid zurückzuführen ist, muss nun in gezielten, möglicherweise schwierigen Laboruntersuchungen geprüft werden. Die Studie liefert damit einen wichtigen Impuls, um diese Reaktion experimentell zu verifizieren – und könnte im Erfolgsfall ein zentrales Puzzlestück zum besseren Verständnis der polaren Stratosphärenchemie darstellen.

 

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