Wissenschaftliche Stellungnahme und Empfehlung für Ventilator-Fensterlüften zum Infektionsschutz gegen die Aerosolübertragung von COVID-19 und für erhöhte Luftqualität in Klassenräumen

Eine interdisziplinäre Expertengruppe empfiehlt Abluftventilatoren für wirksamen Infektionsschutz und nachhaltige Verbesserung der Luftqualität in Klassenräumen.

30. September 2021

Aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse und praktischer Erfahrungen empfehlen wir den Einsatz von Ventilator-Fensterlüftungssystemen in allen Klassenräumen, die nicht bereits mit ähnlich wirksamer Lüftungstechnik ausgestattet sind, um die Luftqualität möglichst hoch und die COVID-19-Infektionsrisiken durch Aerosolübertragung möglichst gering zu halten.
 

Fensterlüften ist ein seit langem etabliertes und wirksames Mittel zur Erhöhung der Luftqualität und Hygiene in Innenräumen. Umfangreiche experimentelle Untersuchungen, Messdaten, Berechnungen und praktische Anwendungsbeispiele zeigen, dass einfaches Fensterlüften unterstützt durch Abluft¬ventilatoren sehr gut und effizient gegen die Aerosolübertragung von COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 in Klassenräumen eingesetzt werden kann. 

Beim Infektionsschutz durch Entfernung potentiell infektiöser Atemluftaerosole wirken einfache Ventilator-Fensterlüftungssysteme ähnlich gut oder besser als aufwändige konventionelle Raumlufttechnik (RLT) oder mobile Luftreinigungs¬geräte (Übersichtstabelle 1). Im Unterschied zu mobilen Luftreinigern verringern Ventilator-Fensterlüftungssysteme durch kontinuierliche Frischluftzufuhr auch die Belastung der Raumluft mit Kohlendioxid (CO2), das im menschlichen Atem zusammen mit potentiell infektiösen Tröpfchen bzw. Aerosolen freigesetzt wird und seit langem als Indikator für die Luftqualität in Innenräumen etabliert ist. Daher eignen sich CO2-Sensoren sehr gut zur Überprüfung der Luftqualität in Klassenräumen und können eingesetzt werden, um die Wirksamkeit von Lüftungsmaßnahmen zu überprüfen und zu steuern.

In Klassenräumen, die wegen Lärm, Schadstoffbelastung der Außenluft oder anderen Gründen nicht gut lüftbar sind, kann es kurzfristig sinnvoll sein, das Fensterlüften bzw. die Frischluftzufuhr durch den Einsatz von mobilen Luftfiltergeräten zu ergänzen. Mittelfristig könnte hier die Nachrüstung von dezentraler Raumlufttechnik mit Zuluftbehandlung bzw. ein Verdrängungs-luftsystem mit Zuluftfiltration helfen. Maschinelle Luftreinigung kann jedoch nicht die notwendigen Minderungen von Schadstoff- und Lärmemissionen ersetzen, die eine hohe Luftqualität im Außenbereich ebenso wie in Innenräumen auch ohne Zuluftbehandlung nachhaltig sicherstellen sollen. 
 

Der Einsatz von mobilen UV-C-Luftreinigern erscheint nach aktuellem Wissensstand nicht angezeigt. Es bleibt zu klären, welche Art von reaktiven Spurenstoffen in der Gasphase und an der Oberfläche von Aerosolpartikeln durch die UV-C-Strahlung gebildet bzw. freigesetzt werden können, und ob sich daraus negative Konsequenzen für Luftqualität und Gesundheit ergeben. Abgesehen davon bewirken UV-C-Luftreiniger im Unterschied zu Luftfiltergeräten keine Verringerung der Feinstaub¬belastung von Innenräumen. 

Das Lüften ist kein Ersatz für andere Infektionsschutzmaßnahmen. Es sollte nach Möglichkeit und Bedarf mit anderen Maßnahmen kombiniert werden (Impfen, Testen, Abstand, Handhygiene, Gesichtsmasken etc.). Dadurch kommt es nicht nur zu einer multiplikativen Verstärkung des Infektionsschutzes, sondern auch zu zusätzlichen Synergieeffekten – beispielsweise durch die gegenseitige Erhöhung der Wirksamkeit von Lüften und Masken in virusreichen Umgebungen. 

Im Vergleich zu Stoßlüften nur während der Pausen zwischen den Schulstunden kann das Infektionsrisiko durch verbessertes Lüften um einen Faktor im Bereich von etwa 2 bis 10 gesenkt werden – je nach Ausgangssituation und Lüftungs- bzw. Luftreinigungsmethode (Mischlüftung, Quellluft, Direktabsaugung, Luftfilterung; Übersichtstabelle 2). Durch das Tragen geeigneter Masken verringert sich das Infektionsrisiko zusätzlich nochmals um einen Faktor von etwa 2 bis 100, je nachdem welche Masken genutzt werden (einfache Stoffmasken, medizinischer Mund-Nasen-Schutz/OP-Masken oder gut sitzende FFP2/FFP3-Masken), und ob diese nur von einzelnen Personen getragen werden (nur Eigen- bzw. Fremdschutz) oder von allen Personen (Eigenschutz plus Fremdschutz). 

 

Bisweilen geäußerte Bedenken gegen Ventilator-Fensterlüften wurden durch solide wissenschaftliche Untersuchungen sowie durch den praktischen Einsatz in vielen Hundert Klassenräumen widerlegt. Bei sachgerechter Ausführung sind Ventilator-Fensterlüftungs¬systeme sowohl hygienisch als auch brandschutztechnisch unbedenklich, zumal die Installation jeweils innerhalb einzelner Klassenräume erfolgt und potentielle Brandlasten vergleichsweise gering sind. 

In Schulklassen, wo viele Personen auf engem Raum zusammenkommen und Wärme sowie Feuchte abgeben, würde eine Behandlung der stets nötigen Zuluft zwecks Rückgewinnung von Wärme oder Feuchte keine wesentlichen Vorteile bringen – weder für den Infektionsschutz noch für die Energiebilanz. Nach aktuellem Wissensstand eignet sich Ventilator-Fensterlüften nicht nur hervorragend zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, sondern auch darüber hinaus für nachhaltiges Lüften in Schulen – energiesparend, ressourcenschonend und klimafreundlich. Wärmerück¬gewinnung ist aktuell auch keine Voraussetzung für den Einsatz öffentlicher Fördermittel zum Corona-Infektionsschutz durch verbesserte Belüftung von Klassenräumen (Beschaffung und Einbau von Zu-/Abluftventilatoren). Im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Klimawandel und den erheblichen Kühlbedarf in zunehmend gut gedämmten Gebäuden, kann Ventilator-Fensterlüften auch einen wesentlichen Beitrag zu energie¬effizienter Nachtkühlung leisten.  

Bezüglich der praktischen Implementierung und relevanter Förderrichtlinien weisen wir darauf hin, dass für ein funktionstüchtiges und wirksames Ventilator-Fensterlüftungssystem pro Klassenraum nur ein Abluftventilator in Kombination mit einem teilweise geöffneten Fenster benötigt wird. Zusätzliche Zuluftventilatoren sind unnötig und führen darüber hinaus zu erheblichem technischem Mehraufwand. Daher sollten angesichts begrenzter finanzieller und technischer Ressourcen sowie der Dringlichkeit des Infektionsschutzes zur Eindämmung der Pandemie möglichst bald einfache Abluftventilatoren in möglichst viele Klassenräume eingebaut werden. Nach Bedarf und Verfügbarkeit können die Abluftventilatoren flexibel, modular und optional durch weitere einfache technische Hilfsmittel ergänzt werden (verteilte Abzugsrohre/Abzugshauben, Quellluftführung, CO2-Sensoren, Zuluft-Filter etc.; Übersichtstabelle 2). 

Auch nach der Pandemie können die Abluftventilatoren weiter genutzt werden, um die Luftqualität in Klassenräumen hoch zu halten – besonders in schlecht lüftbaren Räumen sowie gegen die Ausbreitung von Erkältungskrankheiten und Grippewellen. Verteilte Absaugvorrichtungen können je nach Bedarf flexibel weiter genutzt, entfernt oder mit anderen Hilfsmitteln kombiniert werden, was aufgrund der Modularität und der geringen Kosten leicht machbar ist. Insgesamt bieten Ventilator-Fenster¬lüftungs¬systeme einfache, günstige und wirksame Abhilfe für Luftqualitätsprobleme in Schulen.
 

Stellungnahme (PDF, inklusive Tabellen)

  • Übersichtstabelle 1: zu Effizienz verschiedener Lüftungs- bzw. Luftreinigungsmethoden im Infektionsschutz und zur Verbesserung mder Luftqualität in Klassenräumen
  • Übersichtstabelle 2: Verschiedene Varianten von Ventilator-Fensterlüftungssystemen

Referenzen 
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Unterzeichner

Prof. Dr. U. Pöschl, Dr. F. Helleis, Dr. T. Klimach, Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz 

Prof. Dr. C. Hopfe, Dr. R. McLeod, Institut für Bauphysik, Gebäudetechnik und Hochbau, Technische Universität Graz 

Prof. Dr. B. Hoffmann, Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Prof. Dr. C. Witt, Seniorprofessor an der Charité - Universitätsmedizin, Berlin
 

 

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