Spiegelmoleküle als Indikatoren für Trockenstress im Amazonas-Regenwald

Neue Studie des Max-Planck-Instituts für Chemie zeigt: Verhältnis bestimmter Duftmoleküle gibt präzisen Aufschluss über den Stresszustand des Regenwaldes

5. September 2025

• Das Verhältnis der Spiegelmoleküle von α-Pinen offenbart präzise den Trockenstress im Amazonas-Regenwald.
• Während der Rekorddürre 2023 veränderte sich das Mengenverhältnis der beiden Formen von α-Pinen deutlich – ein direkter Hinweis auf Stress und Stoffwechselumstellung der Pflanzen.
• Pflanzen schalten unter extremem Trockenstress die Fotosynthese ab und geben verstärkt Monoterpene aus Speichern ab.
• Die Messungen im Amazon Tall Tower Observatory (ATTO) ermöglichen es, diese Stresssignale direkt aus der Luft zu erfassen.
• Die gewonnenen Daten sind wertvoll für Klima­modelle, um die Auswirkungen häufiger und intensiverer Dürren realistisch abzubilden.

2023 traf den Amazonas-Regenwald die schwerste Dürre seit Beginn der Aufzeichnungen. Flüsse trockneten aus, extreme Hitze setzte Baumriesen und Unterholz unter Stress. In solchen Situationen setzen Pflanzen vermehrt Monoterpene frei – kleine, flüchtige organische Verbindungen, die der Abwehr und Kommunikation mit der Umwelt dienen. Einige Moleküle, wie das nach Kiefer duftende α-Pinen, treten als Spiegelbildpaare, so genannte Enantiomere, auf. 

Das Mengenverhältnis dieser beiden Formen verändert sich messbar, wenn Pflanzen unter Stress stehen, etwa durch Hitze oder Wassermangel. Forschende des Max-Planck-Instituts für Chemie untersuchten, wie sich dieses Verhältnis im Amazonas vor, während und nach der Dürreperiode veränderte. Die Ergebnisse zeigen: Unter normalen Bedingungen bleibt das Verhältnis der Enantiomere zueinander ziemlich konstant, weil beide Formen im Gleichgewicht sind. Bei zunehmendem Trockenstress verschiebt sich dieses Verhältnis zugunsten von (+) α-Pinen, das vor allem aus den gespeicherten Reserven der Pflanze freigesetzt wird. In der extremsten Phase der Dürre kehrte sich das übliche Verhältnis der beiden α-Pinen-Varianten sogar um. Damit zeigen uns die Spiegelmoleküle von α-Pinen, wie stark ein Ökosystem akut unter Stress steht.

Giovanni Pugliese, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Chemie, der während der Messkampagne vor Ort war, erinnert sich: „„Die Hitze beim Sammeln der Proben war unerträglich. Der Wald litt sichtlich: Die Blätter hatten sich gelb verfärbt und der trockene Lehmboden war von Rissen durchzogen.“ Besonders kritisch war im Jahr 2023, dass die Trockenzeit im September und Oktober mit einem El Niño-Ereignis zusammenfiel. El Niño ist Teil der globalen Klimaschwankung ENSO (El Nino/Southern Oscillation Phänomen) und führt in seiner heißen Phase zu extrem wenig Regen und hohen Temperaturen im Amazonasbecken.

Messungen mitten im Regenwald

An der Messstation des Amazon Tall Tower Observatory (ATTO), 150 Kilometer nordöstlich von Manaus, sammelten die Forschenden Luftproben in 24 Metern Höhe direkt im Kronendach des Waldes. Im Labor in Mainz ermittelten sie später mithilfe spezieller Gaschromatographie-Massenspektrometrie das Verhältnis der beiden α-Pinen-Formen. 
„Zunächst bestimmten wir, in welchem Mengenverhältnis die beiden Varianten unter normalen Bedingungen vorkommen“, führt Joseph Byron, Forscher am Max-Planck-Institut für Chemie und Erstautor der Studie, aus. „Danach beobachteten wir, wie sich dieses Verhältnis während der von El Niño beeinflussten Trockenperiode verschob und sich danach langsam wieder normalisierte.“

Pflanzen im Überlebensmodus

Projektleiter Jonathan Williams kommentiert: „Es ist erstaunlich, dass wir direkt aus der Luft ablesen können, wie der Regenwald auf die aktuellen Bedingungen reagiert. Als sich während der schlimmsten Phase der Dürre mittags das sonst übliche Verhältnis der Spiegelmoleküle umkehrt, war klar: Die Pflanzen stellten die Fotosynthese ein und schlossen ihre Poren, um den Verlust des kostbaren Grundwassers zu verhindern.“ Die Studie knüpft an eine frühere experimentelle Dürrestudie an, die in einem künstlich angelegten Wald innerhalb eines Gewächshauses durchgeführt wurde (s. https://www.mpic.de/5265578/spiegelmolekuele-trockenstress).  Das Forschungsteam  fand heraus, dass die beiden spiegelbildlichen Moleküle über verschiedene Prozesse in der Pflanze freigesetzt werden: Während eine α-Pinen-Form direkt nach der Fotosynthese freigesetzt wird, stammt das Spiegelmolekül aus Speichern der Pflanze. Was sich im Indoor-Experiment gezeigt hat, bestätigte sich nun auch unter realen Dürrebedingungen im Amazonas-Regenwald.

Bedeutung für Klimamodelle

Der Amazonas-Regenwald ist die weltweit größte Quelle biogener flüchtiger Verbindungen. Mit dem Verhältnis der α-Pinen-Spiegelmoleküle können diese Emissionen und deren Veränderungen unter Dürrebedingungen realistischer in Klimamodellen abgebildet werden. Das ist entscheidend, weil Forschende für dieses Jahrhundert mit häufigeren und heftigeren El-Niño-bedingten Dürren rechnen.

Hintergrund ATTO

ATTO ist ein deutsch-brasilianisches Gemeinschaftsprojekt, das 2009 startete. Beteiligt sind die Max-Planck-Institute für Biogeochemie in Jena und für Chemie in Mainz, das brasilianische INPA sowie die Amazonas State University (UEA) in Manaus. Finanziert wird das Projekt unter anderem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem brasilianischen Ministério da Ciência, Tecnologia e Inovações (MCTI), der Max-Planck-Gesellschaft sowie von brasilianischen Organisationen wie der FAPEAM; zudem bringen einzelne Forscher:innen Mittel weiterer wissenschaftlicher Förderinstitutionen ein.
Mit 325 Metern Höhe ragt der Atmosphärenmessturm weit über das Kronendach hinaus und liefert Daten aus einem Gebiet von rund 100 Quadratkilometern des größten Waldgebiets der Erde. Ziel ist es, besser zu verstehen, wie der Amazonas mit dem globalen Klima verknüpft ist und wie er auf Veränderungen reagiert. 


Mehr zu ATTO: https://www.mpic.de/3538403/ATTO

 

 

 

 

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